Kunstaufklärer – die ArtScouts verbinden in Paderborn Kunst und Besucher


Anna Husemann und Stefanie Haueisen, beide Kunststudierende an der Universität Paderborn und kurz vor dem Studienabschluss, sind zwei von insgesamt 16 ArtScouts, die beim Tatort Paderborn Ansprech- und Gesprächspartner für die Ausstellungsbesucher sind. In täglich zwei Schichten von jeweils vier Stunden pendeln sie als „Kunstaufklärer“ zwischen den einzelnen Arbeiten. Sie sind ansprechbar und gesprächsbereit und gehen ihrerseits auf interessierte Menschen zu. Mit dem Ausstellungsende in Sichtweite blicken die beiden auf ihre Erwartungen an und Erfahrungen bei ihren Einsätzen zurück.

Ihre Aufgabe ist es nicht nur, Fragen zu beantworten, obwohl viele Menschen einfach nur die puren Fakten wissen möchten. Was ist das? Wer hat das gemacht? Was soll das? Aber spätestens bei dieser Frage knüpfen sich viele weiterführende Gespäche an, die häufig vom Kunstwerk ausgehend auch allgemein werden. Es geht um Kunstverständnis, um Kunsterfahrungen und um vieles mehr. So eine Unterhaltung dauert mal länger, mal kürzer und ist in jedem Fall sehr aufschlussreich und ganz im Sinne des ArtScout-Konzeptes. Das ist relativ neu in der Kunstvermittlung und geht für die beiden Studentinnen in Paderborn unbedingt auf. Die Reaktionen auf die Kunstaufklärer sind durchweg positiv, wenn sie auf die Leute zugehen, die gerade die Beschilderung an den Werken studieren, den Flyer lesen oder sonstwie erkennbar auf das Kunstwerk reagieren. Manche Skepsis können sie zwar nicht zerstreuen, aber doch zumindest ins Wanken bringen. Vor allem aber können sie Anstöße geben, zusätzliche Informationen liefern und so oft der Kunsterfahrung eine neue Dimension hinzufügen.

Dr. Rudolf Preuss von der Universität Köln hat die Gruppe zusammen gestellt und vorbereitet. Die Herausforderung im Vorfeld bestand natürlich vor allem darin, sich mit Werken auseinander zu setzen, die noch gar nicht existierten, denn schließlich sind alle Arbeiten speziell für Paderborn gedacht und gemacht worden. In Referaten stellten sich die künftigen Spezialisten die Arbeiten und die Künstler gegenseitig vor, bezogen dazu ihre Informationen aus dem Internet, den Konzepten der Künstler und direkt von Kurator Florian Matzner. Der steuerte auch die ein oder andere Anekdote bei, die nun oftmals Türöffner zum Gespräch ist. Besonders wertvoll war aber das gegenseitige Training, bei dem sich alle möglichst viele Fragen stellten, die auftauchen könnten. Spezielles Kommunikationstraining stand nicht auf dem Programm. Da galt das Prinzip „Learning by Doing“. „Am Anfang war man schon sehr aufgeregt,“ erinnert sich Anna Husemann, „aber inzwischen wird man routinierter und hat viel Spaß bei den Touren.“ Und auch Stefanie Haueisens Resümee ist positiv: „Wir haben uns gewappnet, dass uns Leute auch stark kritisieren würden, wenn ihnen etwas gar nicht gefällt, denn schließlich sind wir der direkte Kontakt. Aber das ist nicht wirklich vorgekommen.“

Bei der Wahl der schwierigsten Frage sind sich beide uneins. Die wohl häufigste Frage ist jedenfalls die, ob das denn nun wirklich Kunst sei, und wenn ja, was daran die Kunst ausmache. In jedem Fall ergibt sich meist eine spannende Unterhaltung, die die ArtScouts manchmal aber auch unzufrieden zurück läßt, weil man nicht jeden überzeugen kann. Auf der anderen Seite aber erleben sie viele Überraschungsmomente, lernen einiges über Menschen. So entpuppen sich manchmal diejenigen, von denen man es gar nicht erwartet, als echte Kunstfreunde und Kunstkenner. Andere hätte man als offener und zugänglicher eingeschätzt, erreicht sie aber nur schwer. Letztlich aber ist jeder Mensch zugänglich. Zu beobachten ist, dass vor allem ältere Menschen und Familien gezielt zu den Werken kommen. Andere sehen sich beim Einkaufsbummel plötzlich mit der Ausstellung konfrontiert, und besonders schön ist es dann zu erleben, wie sich für Menschen, die von sich selbst sagen, dass sie Kunst gar nicht berührt und dass sie freiwillig kein Museum betreten, hier über die Kunst im öffentlichen Raum ein neuer Zugang öffnet.

Die ArtScouts erleben direkt, wie Menschen auf die einzelnen Artbeiten reagieren und können berichten, welche Beiträge fast ungeteilt begeistern, welche polarisieren und welche eher ein wenig untergehen. Vor allem der Hochbeet-Garten von Ooze Architects trifft mitten ins Schwarze. Diese Station ist auch für die beiden jungen Frauen eine besonders schöne auf ihren Touren, denn sie liegt ein wenig abseits der Hauptpfade der Fußgängerzone und bietet genau das, was die Künstler Eva Pfannes und Sylvain Hartenberg damit erreichen wollten: Einen grünen Ruhe- und Kommunikationsort in der Stadt, und das nicht nur für Menschen. Als es bei einer Veranstaltung am Rathaus lauter wurde, zog sich ein Hund mit Herrchen und Frauchen instinktiv ins Grün zurück und duckte sich in die Botanik. Über die Natur kommt man leicht ins Gespräch. Man ist entspannt und kann entsprechend zwanglos auch miteinander sprechen. Im „Hortus Oblitus“ zeigten sich viele Eingriffe, denen die Kunst im öffentlichen Raum zwangsläufig ausgesetzt ist: Da gibt es schöne Beiträge, wie das kleine Plastikschweinchen, das sein neues Zuhause in einem der Beete gefunden hat, aber leider auch das Abrupfen der Pflanzen, oft nur, um sie dann gleich wieder auf den Boden zu schmeißen. Aber solche Vorfälle kamen weit seltener vor, als man vielleicht meinen würde. Auch Markus Ambachs „White Elephant“ erlebte viele solcher tatkräftiger Reaktionen. Einige erweiterten die Skulptur über Nacht um ein zweites Fahrrad, weitere Liebesschlösser oder auch andere Beiträge. Über Benjamin Bergmanns „Wäschespinne“ gehen die Meinungen am weitesten auseinander. Manche sehen dadurch den Eingang zur Westernstraße verschandelt, andere finden sie einfach nur schön, und eines Tages bat eine gewisse „Sissi“ per Brief darum, dass „Benjamin“ doch endlich die Wäsche abnehmen solle, damit sie ihre auch endlich aufhängen könne. Kunsterfahrung mit leichtem Schaudern bietet Claudia Brieskes Arbeit, denn die Atemgeräusche aus der Tiefgarage im Vinczenz-Krankenhaus werden über Luftschächte noch bis auf die Straße übertragen.

Konfrontiert mit der pauschalen Frage, ob der Tatort Paderborn 2014 den Menschen in Paderborn und dem Ansehen Paderborns als Kunststandort zuträglich war, bejahen dies beide ohne Zögern. Viele Besucher von außerhalb kamen speziell deswegen und zeigten sich begeistert, zuweilen mit dem Hinweis, dass man überrascht war, dass Paderborn so etwas zu bieten hat. Die Paderborner selbst waren skeptischer, aber der Zuspruch insgesamt und die vielen Wünsche, einzelne Kunstwerke doch dauerhaft behalten zu können, zeigt auch hier, dass der Tatort Paderborn sicher nicht spurlos an der Stadt vorbei geht, und das im besten Sinne.