Wo schlägt das Herz der Stadt in Paderborn?
Autor: Jörg Biesler
Die Fußgängerzone in Paderborn stammt wie in vielen deutschen Städten aus der Mitte der 70iger Jahre. Für den überwiegenden Teil der Politiker und Geschäftsleute war das damals eine überzeugende und moderne Lösung. Parallel zur Einrichtung der Fußgängerzone wurden im Bereich von Marienstraße und Westernstraße eine Tiefgarage und ein Busbahnhof angelegt, auch dies typisch für die Zeit und Ausdruck des Willens nach einer modernen Stadt, in der die Verkehrsarten wie die städtischen Funktionen – also Wohnen, Arbeiten und Einkaufen – getrennt werden. Die Idee war in Paderborn wie in vielen anderen Städten, die prosperierenden Innenstädte mit ihren oft schmalen Straßen autogerecht zu machen. Die Bewohner, die es allmählich vorzogen in Reihenhäusern am Rand der Stadt zu wohnen, sollten mit dem nun immer selbstverständlicher werdenden eigenen Auto bequem die Innenstadt erreichen können und dort ausreichend Parkplätze finden. Dieses Konzept überholt sich mehr und mehr, nicht nur aus ökologischen Gründen. Vor allem löst die Gesellschaft fortschreitend in Gruppen auf, in Partikularinteressen. Längst sind in breiter Front andere Lebenskonzepte neben das der Familie im Reihenhaus getreten. Auch das sorgt für Konflikte bei der Nutzung des öffentlichen Raums.
Wem gehört der öffentliche Raum?
Das Strategiepapier „Lebendige Stadt“ des Deutschen Städtetages formuliert das so: „Festivalisierung gegen Alltagsqualität, Werbung gegen Stadtgestalt, Kommerz gegen Kultur, Autofahrer gegen Flaneure, Demonstranten gegen Touristen, private Nutzung gegen allgemeine Verfügbarkeit, spontane, zeitlich begrenzte Aneignung gegen dauerhafte Ordnung und Gestaltung. Die oft widersprüchlichen Erwartungen – auch von Frauen und Männern oder von alten und jungen Menschen – an den öffentlichen Raum sind Ausdruck der zunehmenden Heterogenität unserer städtischen Gesellschaft. Gestalterisch schlägt das Pendel deshalb zwischen nostalgischem Kitsch, coolem zeitgenössischen Design und ästhetischer Verwahrlosung aus.“
Tatort Paderborn – ein Kunstprojekt
Die Kunst im öffentlichen Raum hat häufig eine reine Dekorationsfunktion. Kunsthandwerkliche Brunnen oder Standbilder stehen vor allem ihrer pittoresken Qualitäten wegen in den Fußgängerzonen. Mit der Auseinandersetzung um den öffentlichen Raum hat aber auch die Kunst zunehmend die Aufgabe übernommen, sich dezidiert auseinanderzusetzen mit dem urbanen Raum und den unterschiedlichen Ansprüchen, die an ihn gerichtet werden. Im Alltag sind solche künstlerischen Eingriffe geeignet, zunächst einmal die Aufmerksamkeit auf problematische Situationen zu lenken. Als unökonomischste menschliche Erfindung kann die Kunst Vorschläge machen, die jenseits aller Vernunft und Realisierbarkeit liegen aber den Blick und die Fantasie öffnen dafür, was möglich wäre im öffentlichen Raum und damit vielleicht zu dessen Rückeroberung beitragen. Der öffentliche Raum ist das, was die Bürger darin tun. Das kann aktive Gestaltung der eigenen Stadt sein oder bloßes Erleiden der Umstände. Was die Kunst aber unmißverständlich zeigt ist, dass die Fußgängerzone ein Tatort sein kann und mehr möglich ist, als man zunächst glauben würde. Eine solche Inanspruchnahme des öffentlichen Raums auf den Flügeln der Kunst, wäre wirklich etwas, das dem Stadtmarketing dient. Denn wo würden wir lieber leben als in einer Stadt, die vor allem für die Menschen da ist, die sie bewohnen.
Diesen Aufsatz schrieb der Autor und Kulturjournalist Dr. Jörg Biesler für den Katalog zum Kunstprojekt TATORT PADERBORN – Phänomen Fußgängerzone. Wir haben ihn für unseren Blog leicht gekürzt und in zwei Teilen veröffentlicht.